Der japanische Star-Designer Yohji Yamamoto gab dem Online-Magazin „The Talks“ eines seiner raren Interviews. Neben seiner Karriere als Designer ging es um den aktuellen Trend zur „Wegwerfmode“ und seine Auffassung von nachhaltigem Design, um künstlerische und designerische Räume und ein Plädoyer für ein neues Vokabular in der Fashion-Welt.
Das „Talks“-Interview mit Yohji Yamamoto war ein durchaus umfassender Karriere-Rückblick des kritisch-philosopischen Modekünstlers, dessen Kreativität – und die Lust zu immanenten Provokationen – offensichtlich ungebrochen sind.
Schutz, Zeitlosigkeit und Androgynität
Der deutsche Regisseur Wim Wenders beschrieb sein Gefühl bei seinem ersten Yamamoto-Kleidungsstück so: Etwas Neues, das gleichzeitig alt ist und vor allem schützt. Mit diesem Worten hatte er das designerische Credo Yohji Yamamotos fast perfekt erfasst. Im Zentrum des Designs von Yamamoto steht die Idee des Schutzes – etwa einer Frau vor den zudringlichen Blicken eines Mannes oder einfach vor einem rauen Wind. Gleichzeitig postulierte er Langlebigkeit und Androgynität als Essenzen seines Mode-Bildes. Yamamoto ging bereits am Anfang seiner Karriere davon aus, dass Käufer seine Kreationen mindestens zehn Jahre lang tragen könnten. Ebenso spielen herkömmliche Geschlechterrollen für seine Arbeiten nur eine marginale Rolle. Die Anziehungskraft einer Frau stellt sich für Yohji Yamamoto nicht über die modische Inszenierung ihres Körpers her, sondern kommt aus dem „Herzen ihrer Existenz“ – Mode in diesem Sinn verführt nicht durch den äußeren Reiz, sondern durch die subtile Verbindung mit Persönlichkeiten.
Plädoyer gegen Fast Fashion
Angesichts der Trend-Abhängigkeit der Modebranche wandte Yohji Yamamoto seinen Schutz-Begriff schon früh auch auf seine Kreationen selbst an. In seinen Worten: Es ging und geht ihm darum, die Kleider vor der Fashion zu beschützen. Trends sind für Yamamoto vor allem fluktuierende Gefühlsvorlagen für die Käufer – und heutzutage oft sowohl billig als auch konventionell. Der Modebetrieb in Tokio, New York oder Los Angeles repräsentiert für Yamamoto zwei Grundanforderungen: Schnelllebigkeit und Kosteneffizienz. Er steht damit für „Fast Fashion“ respektive Wegwerfmode. Unter dieses Verdikt fällt für Yohji Yamamoto übrigens auch das heute übliche Verständnis von modischer „Avantgarde“. Wirkliche Avantgarde beruht in seiner Sicht auf einer wissenden und bewussten Opposition gegen Konventionen oder traditionelle Werte – die einfache Negation oder die Flucht ins Immer-Neue bedeuten für ihn im besten Falle eine folgenlose Rebellion. Gleichzeitig motiviert gerade diese Ausgangsposition den kritischen Designer nach eigener Aussage dazu, im Modegeschäft präsent zu bleiben.
Designerische Essenz: Der Entwurf von Räumen
Natürlich kam im Interview die Frage auf, wie stark Kreationen und Ästhetik Yamamotos mit seinem japanischen Erbe verknüpft sind. Die Antwort des Design-Stars bezog sich interessanterweise nicht auf Formen oder Geschichte, sondern „Raum“ und Arbeitsweise. Die Wahrnehmung seiner Entwürfe als originär „japanisch“ beschreibt aus seiner Sicht vor allem ein Defizit bei den Erklärungsmustern. Bei all seinen Arbeiten gäbe es einen freien Raum von fünf, sieben oder zehn Prozent, die an der tatsächlichen Vollendung fehlen. Europäische Rezipienten glauben jedoch, die vollen 100 Prozent vor sich zu haben und füllen den undefinierten – „leeren“ – Raum mit der Beschreibung seines Werks als „sehr japanisch“. Yamamoto plädierte vor diesem Hintergrund für ein neues Fashion-Vokabular, das fähig wäre, eine Kreation in ihrer Ganzheit zu erfassen. „Raum“ spielt in seinem ästhetischen Universum auch noch eine zweite Rolle. Die Idee des – offenen und trotzdem definierten – Raumes sei in allen Genres der traditionellen japanischen Kunst essentiell – in diesem Sinn entwerfe Yamamoto Räume.
„Ich bin noch hier – und zehnmal stärker“
Obwohl Yohji Yamamoto in Tokio lebt und seine Kollektionen traditionsbewusst (und kostenintensiv) in japanischen Familienunternehmen produziert, sieht er sich als einen Reisenden – und als ultimatives Ziel jeder großen Modekarriere Paris. Auf seiner – nicht zuletzt ästhetischen und mentalen – Reise zwischen Tokio, Paris und anderen globalen Fashion-Hotspots ist der 68-jährige mit jährlich vier Kollektionen – darunter zwei saisonalen Linien für sein New Yorker Label Y-3 – äußerst produktiv. Neben seinen Fashion-Kreationen gibt es die sehr lesenswerte Autobiografie „My Dear Bomb“, über die Yamamoto sagte, dass er sie nach einer sehr schwierigen Lebens- und Karrierephase mit dem Gefühl geschrieben habe: „Ich bin noch hier – und zehnmal stärker.“
Kommentiere als erstes!