Die Kampagne der aktuellen Berlin Fashion Week wurde vom berühmten und etwas berüchtigten Modefotografen Terry Richardson fotografiert. Der 46-jährige gilt als der derzeit angesagteste globale Star der Branche, hat für praktisch alle großen Modemagazine gearbeitet und viele bekannte Labels authentisch und meist etwas provokativ in Szene gesetzt.
Damit sind wir bei den Markenzeichen Richardsons – Authentizität und Provokation. Im März 2010 haben diese – im Zeitalter von „Political Correctness“ und weitab vom Laissez Faire der 80er und frühen 90er – zum medial genüsslich diskutierten – und letztlich nicht bis ins Letzte aufgeklärten – Eklat geführt. Gleichzeitig steht dem Medienereignis Richardson der Fotograf Richardson gegenüber – dieser bringt neben Inspiration und Handwerk auch eine tiefsitzende „Street Credibility“ mit, geprägt hat seine Kunst wohl weniger die Welt der Hochglanzmagazine als die Straße und deren diverse Szenarien.
Sozialhilfe, Punk und Drogen
Eigentlich hätte Terry Richardson das Fotografieren in die Wiege gelegt sein müssen – er ist der Sohn von Robert Richardson, einem Star der Modefotografie vergangener Tage und verbrachte seine frühe Kindheit im Jetset von London, Paris und Mailand. Stattdessen gab es einen Umweg, der Jahrzehnte dauerte. Mutter Annie, eine bekannte Tänzerin und Stylistin, ging nach der Scheidung von Bob Richardson mit dem kleinen Terry nach Woodstock und – nach einer Zwischenstation in London – nach Hollywood. Nach einem Unfall und daraus resultierender bleibender Behinderung Annies lebten sie von Sozialhilfe. Terry begann mit elf zu kiffen und war mit 13 Jahren alkoholabhängig, mit 15 spielte er in Punkbands und startete nach einem Gefängnis-Zwischenspiel (Annie hatte ihn wegen Drogen und Vandalismus zu seinem eigenen Schutz verhaften lassen) eine Rock-Karriere. Zur Finanzierung dieser Ambition half er als Beleuchter und Filmwechsler bei Fotografen aus.
Vom Hilfsarbeiter zum engagierten Foto-Star
Einer seiner Foto-Aushilfsjobs brachte Terry mit dem Fotografen Tony Kent zusammen, der bereits mit seinem Vater gearbeitet hatte und in dem jugendlichen Chaoten fotografisches Talent zu sehen glaubte. Terry lernte bei ihm die Grundlagen der Fotografie. 1989 wurde dann der Wendepunkt. Kents gute Kontakte verschafften dem jungen Fotografen ein Shooting mit Donovan und Balthazar Getty, das ihn in der Szene bekannt machte, gleichzeitig tauchte Bob Richardson wieder auf und übernahm die Ausbildung des Sohnes zum Modefotografen unter künstlerischem Aspekt. Bei einem Job der bald gemeinsam firmierenden „Richardsons“ für das New Yorker Magazin „The Vibe“ überließ Bob seinem Sohn das Feld – heraus kam eine Foto-Story über alkoholabhängige Straßenkids ohne Zukunft, die Terry Richardson weltweit bekannt machte und ihm 1993 den Preis des französischen Festivals De la Mode für die beste Fashion-Story eintrug.
Globale Karriere und Avantgarde-Perspektiven auf Klischees
Was dann folgte, war (und ist) eine Erfolgsgeschichte – Terry Richardsons Modefotos gingen um die Welt, wenngleich der Meister der provokativen Inszenierung nicht unumstritten blieb. So brachte die weltberühmte Sisley-Kampagne seiner Fotografie das mediale Attribut „Soft Porn“ ein, das die Beurteilung seines Werks seitdem durchzieht. Von einer anderen, weniger „moralischen“, Perspektive kommend, kann man sagen: ja, Richardsons Bildgeschichten fokussieren sich auf Körper, und zwar oft mehr auf nackte Körper als auf die schönen Kleider – aber: seine Bilder brechen dabei mit Klischees und transformieren die nackten Tatsachen so zu Kunst. Die künstlerische Herkunft des Fotografen Terry Richardson sollte dabei nicht vergessen werden – sie besteht nicht nur aus Vater Bob und expliziter Modefotografie – vielmehr scheint es, als ob der Punk den Rhythmus vorgegeben hat und die engagierte amerikanische Fotografie (etwa Larry Clark oder Nan Goldins) die generelle Perspektive.
Kommentiere als erstes!